Anarchismus beabsichtigt die Abschaffung jeder Über- und Unterordnung im zwischenmenschlichen Bereich, um individuelle Freiheit ohne Grenzen, das herrschaftsfreie Zusammenleben der Individuen und die optimale Selbstverwirklichung des Ichs zu erreichen. Deshalb wird nicht allein bestritten, daß der Staat erforderlich und berechtigt ist, sondern dessen Abschaffung gefordert, da er der herausgehobene Repräsentant von Autorität in der Menschheitsgeschichte sei. Der A. geht davon aus, die Menschen seien so veranlagt, daß sie besser ohne als mit staatlicher Gewalt lebten.
Anarchistische Gedanken begegnen schon in der Antike bei Zeno (340 - 268 v. Chr.); sie erhalten im 18. / 19. Jahrhundert durch die Auflösung der ständischen Gesellschaft in der industriellen Revolution einen großen Auftrieb. Der Begriff A. geht auf den Frühsozialisten und Sozialphilosophen Pierre-Joseph Proudhon (1809 - 1865) zurück. Vordem hatte die Ansicht von Thomas Hobbes (1588 - 1679) dominiert, ein starker Staat müsse die Menschen vor ihrer eigenen Wolfsnatur schützen (so auch Erasmus, Calvin und selbst noch >Rousseau und >Voltaire). Kein Konsens besteht im A. über Privateigentum und Gewalt; teilweise werden diese bejaht, teilweise abgelehnt. Entscheidende Wurzeln des (modernen) A. sind der Kommunismus, der Individualismus und Sozialutopien, die jede in sich bereits anarchistisch ist, denn ihnen ist der Kampf gegen staatliche Herrschaft und die Auffassung, individuelle Freiheit sei der Güter höchstes, gemeinsam. Im 20. Jhd. hat der A. durch die weltweiten Studentenproteste (1968 ff.), die sich teilweise auch mit Terrorismus verbanden (z. B. RAF), einen weiteren Schub erhalten.
Gegen alle anarchistischen Lehren ist anzuführen:
S. auch: >Ethik; Liebe; Kommunismus; Grüne Ideologie.
Lit.: EKL, 3. Aufl. (Neufassung), Bd. 1, Sp. 136 - 138; ELThG, Bd. 1, S. 69; ESL, 7. völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl. 1980, Sp. 22 - 23; EStL, 2. völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl. 1975, Sp. 2400 - 2402; RGG, 3. Aufl., Bd. 1, Sp. 353 - 355. Darin jeweils weiterführende Literatur; P. Beyerhaus / J. Heubach (Hg.), Zwischen Anarchie und Tyrannei, 1979.
Walter Rominger
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