Im katholischen Denken werden drei Formen oder Stufen der Anbetung oder Verehrung unterschieden: die Latria, die Hyperdulie und die Dulie.
Und die Hyperdulie ist die Verehrung in höchster Form, die einem erschaffenen Wesen entgegengebracht wird. Und dieses höchste geschaffene Wesen ist Maria, die "Mutter Gottes", wie sie seit dem Konzil von Ephesus 431 n. Chr. genannt wird.
Wer sind nach katholischem Verständnis die Heiligen? Sie sind "Schicksalsgenossen unserer Menschlichkeit", die aber bereits mit Christus vollkommen vereinigt sind, die jetzt schon den dreieinigen Gott schauen, fürbittend vor ihn treten und ihre Verdienste vorzeigen, um auch uns, die wir noch auf Erden pilgern, zu helfen und die wir hilfesuchend anrufen können (Lumen Gentium 49).
Sie werden nicht angebetet, aber verehrt, und man kann sie bitten, bei Gott für uns einzutreten, also eine stellvertretende Fürbitte vorzunehmen; Mittler zum Mittler sind sie (Lumen Gentium 49 f.).
Die oberste der Heiligen ist Maria. Sie wurde "vor allen Engeln und Menschen erhöht", bittet unaufhörlich, um für die pilgernde Kirche "die Gaben des ewigen Heils zu erwirken" (Lumen Gentium 62). Und sie trägt Titel wie "Fürsprecherin", "Helferin" und sogar "Mittlerin". Dabei wird behauptet, daß dies der Würde und Wirksamkeit Christi nicht abträglich sei (ebd.). Zu Ehren Marias wurden zahlreiche Feste in katholischen Gegenden eingeführt, etwa Mariä Empfängnis am 8. Dezember, Maria Gottesmutter am 1. Januar, Verkündigung des Herrn am 25. März, Mariä Aufnahme in den Himmel am 15. August. Dazu gibt es noch viele regionale Feste, Feiertage und Wallfahrten. Alle anderen Heiligen sind Maria nachgeordnet, etwa der heilige Josef, die Apostel und Märtyrer, die Heiligen und Seligen.
Wie wird jemand nach katholischem Verständnis heilig? Es erfolgt durch eine Heiligsprechung durch den Papst. Der Heiligsprechung geht als Vorstufe in der Regel eine Seligsprechung voraus. Dieses Verfahren wurde im Jahre 1634 eingeführt und im Codex Iuris Canonici in den Artikeln 1999-2141 definiert. Wenn jemand heiliggesprochen wird, findet eine Zeugenbefragung darüber statt, welche Handlungen der oder die Heilige begangen hat, ob er oder sie Wunder gewirkt hat. Es werden also Zeugen befragt, Archive geöffnet, Bekehrungen betrachtet, gefragt, ob ein Martyrium vorliegt oder nicht. Märtyrer haben es leichter, Heilige zu werden. Wenn jemand kein Märtyrer ist, muss in der Regel er oder sie mindestens ein Wunder gewirkt haben, das durch Zeugen beglaubigt ist. Seit dem Jahre 1634, als das Verfahren der Selig- bzw. Heiligsprechung eingeführt wurde, wurden über 1200 Seligsprechungen vorgenommen, aber mehr als 90% davon im 20. Jahrhundert, insbesondere durch Papst Johannes Paul II.
Wer also heilig oder selig gesprochen werden will, muss seine Heiligkeit ausgewiesen haben durch Wunder, Bekehrungen oder einen Märtyrertod besonderer Ausprägung. Es wird davon ausgegangen, dass Heilige und auch Selige gewiss bei Gott sind. Diesen billigt man die Heilsgewissheit zu, während das normale katholische Gemeindeglied keine Heilsgewissheit hat.
Als Vorbild oder auch Urmodell der Heiligen wird Christus selber gesehen. Die Heiligkeit Christi spiegele sich im Heiligsein der Heiligen wieder. Die menschlichen Heiligen haben also nach katholischer Sicht Anteil an Christi Heiligkeit, indem sie diese verkörpern.
Das Problematische ist freilich Folgendes: Die katholischen Seligen und Heiligen haben sicherlich ein besonders vorbildliches Leben geführt haben, allerdings im katholischen Sinne. Sie sind sehr für die Katholische Kirche und ihre Lehren eingetreten, worunter sich - aus biblischer Sicht beurteilt - aber auch zahlreiche Sonderlehren und Irrlehren befinden (s. Sonderlehren). Ferner: Wenn man die Heiligen anrufen will, entsteht ein Kontakt mit dem Totenreich, was Gott streng verboten hat (vgl. 5. Mose 18,9 ff. u.a.).
Um diese Fragen weiter zu vertiefen, betrachten wir einige Zitate aus der katholischen Literatur, z.B. von Alan Schreck "Christ und Katholik. Eine Darlegung häufig mißverstandener katholischer Glaubensaussagen" (Münsterschwarzach 1991). A. Schreck möchte die Heiligenverehrung Christen evangelikaler und charismatischer Prägung nahe bringen. Sein Buch ist in dem katholisch-charismatischen Vier-Türme-Verlag in Münsterschwarzach erschienen. Über die Fürbitte der Heiligen heißt es auf Seite 160 f.:
"Wenn wir unsere Mit-Heiligen auf der Erde um ihr Gebet für uns bitten können, so glauben Katholiken, dann sollten wir auch fähig sein, die Heiligen, die bereits mit dem Herrn vereint sind, um ihr Gebet zu bitten. Wenn die Gebete bestimmter Christen hier auf der Erde eine besondere Kraft haben, vielleicht wegen ihres Glaubens oder ihrer Heiligkeit, um wieviel kraftvoller und wirksamer sind dann die Gebete derer, die in völliger Einheit mit Gott im Himmel sind!"
Schreck gibt dann allerdings zu:
"Die Bibel sagt über die Fürbitte der Heiligen im Himmel wenig. Jesus sprach von Abraham, Isaak und Jakob (´Heilige` des Alten Bundes) als Lebende bei Gott (Mk 12, 26f), und er selbst sprach mit Elia und Mose auf dem Berg (Mt 17, 3). Das Buch der Offenbarung spricht häufig von den 24 Ältesten (die alle Heiligen des Himmels repräsentieren), die um Gottes Thron versammelt sind und ihn mit überschwenglichem Lobpreis anbeten. In einem Abschnitt (Off 5, 8) heißt es, daß sie ´goldene Schalen voll von Räucherwerk, welche die Gebete der Heiligen sind`, Gott darbringen. Der neutestamentliche Gebrauch des Begriffs ‘Heilige’ verweist gewöhnlich auf die Jünger Jesu, die noch auf Erden sind. So haben wir hier ein schönes Bild der Fürbitte: Die 24 Ältesten (die Heiligen des Himmels) bringen die Gebete der Heiligen auf Erden am Thron Gottes wie wohlriechenden Weihrauch dar" (ebd.).
Beurteilung: Hier wird allegorisiert: Die 24 Ältesten werden auf die Heiligen insgesamt, eben speziell die Heiligen der Katholischen Kirche, bezogen. Es sind dann nicht 24, sondern Tausende. Es wird also symbolisch gedeutet, was in diesem Zusammenhang problematisch ist. Und bezüglich der Gebete der Heiligen vor Gottes Thron findet sich in der Bibel nichts davon, daß wir diese um die Fürbitte bitten könnten oder daß irgendeine Kontaktaufnahme möglich sei. Das ist vielmehr das Gebiet des Spiritismus! Sicherlich können Menschen in der Herrlichkeit vor Gottes Thron mit ihm reden, aber es steht nicht da, dass wir, die wir hier und jetzt auf der Erde leben, Kontakt aufnehmen sollen mit dieser jenseitigen transzendenten Welt.
Schreck weist selber zurecht darauf hin, dass Augustin davor gewarnt hat, dass die Verehrung der Heiligen eine Form der Anbetung annehme. So hatte Augustin sehr treffend geschrieben in "Contra Faustum Manichaeum":
"Doch errichten wir diesen Märtyrern keine Altäre, sondern nur Gott selbst, dem Gott dieser Märtyrer."
Und so sagt auch Schreck:
"Katholiken ehren und verehren die Heiligen, aber sie beten sie nicht an. Die Heiligen im Himmel können beten und Fürbitte bei Gott für uns einlegen, so wie wir einen Mitchristen für uns bitten können, für uns zu beten. Die Fürbitte der Heiligen und Marias für uns beeinträchtigt die einzigartige Mittlerschaft Jesu nicht — so wenig dies geschieht, wenn wir hier auf Erden jemand um sein Gebet bitten" (S. 162).
So wird argumentiert, aber dies ist nicht biblisch, sondern es besteht immer die Gefahr des Spiritismus, wenn wir uns in irgend einer Weise mit der Totenwelt einlassen. Es ist ein Unterschied, ob ich zu Gott bete, welcher der lebendige Herr ist und auch angerufen werden will, oder ob ich zu Verstorbenen bete oder rede, was ja die Heilige Schrift eindeutig verwirft. Es ist Augenwischerei, wenn behauptet wird: Wir beten nicht die Heiligen an, aber wir bitten sie doch, sie sollen Gott für uns bitten. Letztendlich beten wir dann doch zu ihnen! Hier findet sich eine - bewusste? — Unklarheit in der Begrifflichkeit. Anrufung ist aber Anrufung - und eine solche Praxis findet prinzipiell keinen biblischen Anhaltspunkt.
Mit dem Heiligenkult in engem Zusammenhang steht der Reliquienkult.
Reliquien sind Hinterlassenschaften eines verstorbenen Heiligen, etwa vor allem seine Knochen, aber auch Asche, Kleidung, Schriften und andere Besitztümer, die dann verehrt werden.
Beim Reliquienkult möchte man sich vor allem auf zwei Bibelstellen stützen: Zunächst die Heilung der blutflüssigen Frau, die Jesu Gewand berührt (Mk 5,25-34). Allerdings geht aus dem Zusammenhang klar hervor: Es ist nicht der Glaube an das Gewand bei ihr gewesen, was sie geheilt hat, sondern der Glaube an den Herrn selbst. Die Aussage Jesu "Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht" (Mk 5,34) steht in Parallele zu zahlreichen ähnlichen Aussagen des Herrn in den Evangelien bei Heilungen, die sich eindeutig auf ihn als den Messias beziehen und nicht auf irgend welche Gegenstände. Die Berührung des Gewandes Jesu repräsentierte für die Frau die völlige Gegenwart von Christus. Der katholische Exeget Joachim Gnilka stellt treffend zu dieser Stelle fest:
"Der Entlassgruß Jesu interpretiert das Handeln der Frau als Glaube. Dieser Glaube, der als vollgültiger anerkannt, aber nicht näher entfaltet wird, ist die Grundlage gewesen, auf der ihr Rettung und Gesundheit geschenkt wurde. Was die Frau tat, ist nicht vergessen. Aber jetzt wird deutlich, daß sie nicht im blinden Vertrauen auf magische Kräfte, sondern aus Glauben handelte. So wird sie zum Vorbild für die Hörenden" (J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, EKK II, Zürich u.a., 1979, S. 216).
Eine ähnliche Stelle findet sich in Apg 19, 11 f., wo von den Taschen- und Schweißtüchern des Paulus geredet wird, die berührt und zu den Kranken gebracht wurden und sie wurden dann geheilt. In der Tat ist das eine schwierige Stelle. Da aber die Heilige Schrift - auch in der Apg selber! - grundsätzlich vor magischem Denken warnt (Apg 8,9 ff.) und wir nach klarer biblischer Lehre auf Gott vertrauen sollen und nicht auf irgendwelche geschöpflichen Dinge (vgl. Röm 1,18 ff.), kann diese Stelle isoliert nicht so verstanden werden, dass diese geschöpflichen Dinge an sich eine rettende Wirkung haben, sondern nur der Glaube an Gott, der seinen Boten gesandt hat, um seine Gegenwart den Menschen zu bringen. Wir müssen ja bei der Auslegung der Heiligen Schrift immer von den klaren zu den unklaren Stellen gehen und nicht umgekehrt, sonst kommen in der Tat magische Irrlehren heraus, dass wir irgendwelche Taschentücher, Schweißtücher oder Knochen verehren, was dann in schlimmsten Aberglauben münden kann.
Alan Schreck selber gesteht Folgendes zu:
"Natürlich gibt es hier die Gefahr des Aberglaubens."
Und wie kann diese vermieden werden? Schreck schreibt:
"Diese kann vermieden werden, indem man sich bewußt macht, daß es allein Gottes Kraft ist, die Heilungen und Wunder vollbringen kann. Reliquien selbst enthalten keine ´magische` Kraft; doch Gott gebraucht sie, um zu bezeugen, daß durch das Leben dieses herausragend heiligen Menschen geistliche Kraft ausgegangen ist" (S. 164).
Hier findet sich eine zunächst gute Formulierung. Es ist nicht der Gegenstand an sich, sondern Gottes Kraft, die wirkt, aber das Problem tritt dann ein, wenn der betreffende Gläubige seinen Glauben eben auf diesen Gegenstand richtet und nicht auf den lebendigen Gott. Dann kann dieser Gegenstand vom lebendigen Herrn ablenken und das Heil trüben oder ganz wegnehmen. Dann entsteht eben der Aberglaube, der Afterglaube an Gott vorbei und an irgendwelche magischen Medaillons, Talismane, Skapuliere, Knochen etc. Solche werden ja zum Zweck besonderer "Weihen" in Katholischen Kirchen aufbewahrt und besonders in Altäre einbetoniert. Deshalb ist es berechtigt, wenn auch A. Schreck auf die Gefahr des Aberglaubens hinweist. Im katholischen Volksglauben ist sicherlich der Aberglaube vor allem über diese Wege sehr eingedrungen.
Katholiken beten für die Toten bzw. lassen Totenmessen feiern, die dann auch bezahlt werden. Während der Woche werden in der Regel früh morgens diese Totenmessen gefeiert. Und das dient dazu, dem Verstorbenen die Läuterungszeit im Fegefeuer zu verkürzen. Es wird von einer großen Familie zwischen Verstorbenen und auf Erden noch Lebenden gesprochen, die verbunden sein kann durch gegenseitige Fürbitte. Also die Verstorbenen beten für die Lebenden — nicht nur die heiligen Verstorbenen, auch die anderen. Und die Lebenden beten für die Verstorbenen, um ihnen die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen; sie bringen Ablässe für sie dar, auch heute noch, lassen Messen für sie lesen und Ähnliches. So schreibt Alan Schreck:
"Der Heilige Geist verbindet die ganze Familie miteinander. Christen können zu diesen ´verherrlichten` Brüdern und Schwestern Beziehung haben und ihre Hilfe und ihr Gebet erwarten, genauso wie sie es mit den Familiengliedern hier auf Erden halten können. (Wir sollten beginnen, mit ihnen bekannt zu werden, denn bald werden wir die Ewigkeit mit ihnen verbringen!)" (S. 165).
Das ist nichts anderes als ein Aufruf zum Spiritismus, was Gott streng verboten hat, weil der Mensch hier in finstere Bindungen hinein geraten kann.
Zwei Zitate vom Konzil von Trient aus dem Jahre 1563 können uns den Heiligenkult noch etwas plastischer vor Augen stellen. Im ersten Zitat geht es um die Fürbitte der Heiligen, ihre Anrufung, die Verehrung von Reliquien und den Gebrauch von Bildern:
"Die Heiligen herrschen zusammen mit Christus, sie bringen ihre Gebete für die Menschen Gott dar. Es ist gut und nutzbringend, sie um Hilfe anzurufen und zu ihren Gebeten, zu ihrer Macht und Hilfe Zuflucht zu nehmen, um von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn, der allein unser Erlöser und Heiland ist, Wohltaten zu erlangen. Gottlos aber denken, die leugnen, daß man die Heiligen in der ewigen Seligkeit des Himmels anrufen soll; oder behaupten, sie würden nicht bitten für die Menschen; oder sie anzurufen, damit sie für uns auch als Einzelne bitten, sei Götzendienst; oder es stehe im Widerspruch mit dem Wort Gottes und widerstreite der Ehre des einen Mittlers zwischen Gott und Menschen, Jesus Christus. (1 Tim 2,5); oder es sei eine Torheit, mit Herz und Mund die anzuflehen, die im Himmel herrschen" (Neuner-Roos Nr. 474).
Das aber ist genau das, was die Reformatoren gelehrt haben, was hier als "gottlos" bezeichnet wird!
Bezüglich des Reliquienkultes wird ausgeführt:
"Auch die heiligen Leiber der heiligen Märtyrer ... sind für den Gläubigen zu verehren. Dadurch erweist Gott den Menschen viele Wohltaten ... Ferner soll man Bilder Christi, der jungfräulichen Gottesmutter und der anderen Heiligen vor allem in den Kirchen haben und beibehalten. Man soll ihnen die schuldige Ehrfurcht und Verehrung erweisen" (Neuner-Roos Nr. 475 f.).
Die diesen Bildern erwiesene Ehrfurcht meine das Urbild Christus und weise darauf hin. Durch die Bilder hindurch würde man direkt Christus erreichen. Daraus erklärt sich der Bilderkult, so prachtvoll dieser auch ist, in den Katholischen Kirchen. Die Reliquien, so wird gesagt, sollen ja nicht angebetet werden, aber der Volksglaube tut das Seine unweigerlich hinzu.
Man kann hier von einem übertünchten Heidentum sprechen, welches sich im Katholizismus herausgebildet hat. Die Vorstellung, daß gewisse Dinge und Orte Energie ausstrahlen, herrscht bei vielen katholischen Gläubigen vor. Man meint, besondere Kräfte zu finden in Knochen, Kleidungsstücken oder anderen Besitztümern von verstorbenen Heiligen. Und diese Kräfte würden auf den übergehen, der sie berührt oder der in ihren näheren Umkreis tritt. Zum Reliquienkultus gehören auch Hostien, die mit zur Bekämpfung von Seuchen eingesetzt werden, heilige Fahnen und Bilder, Schluckbilder gegen Krankheiten und ähnliches.
Dieser Volksaberglaube drang in die Katholische Kirche ein, als diese sich herausbildete, also als die urchristliche Kirche überging in den Frühkatholizismus, insbesondere bereits im 3. und 4. Jahrhundert nach Christus, als große Scharen von Heiden in die Kirche strömten und einen großen Teil ihres Heidentums mit hineinbrachten. Die sogenannte Volkskirche entstand und gerade im heutigen Katholizismus ist hier auch vieles noch vorhanden. Friedrich Loofs spricht in seiner Dogmengeschichte davon, daß sich ein Christentum zweiter Ordnung etablierte:
"In diesem inferioren (also minderwertigen) Christentum, das fortschreitend volkstümlicher wurde, haben mannigfach heidnische Kultussitten christianisiert angedauert; Heiligen-, Engel- und Marienverehrung verwuchsen mit dem antiken Heroenkult und anderen polytheistischen Reminiszenzen; Kreuze, Bilder und Reliquien zogen einen christlichen Amulett-Aberglauben groß, und die Wundersucht trieb wunderliche Blüten" (F. Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, 5. Aufl., Halle 1950, S. 248).
Ähnlich schreibt der bekannte Kirchenhistoriker Karl Heussi in seiner Kirchengeschichte:
"Vor allem der heidnische Polytheismus bestand fast ungebrochen in der Kirche fort und überwucherte vielfach die älteren Formen der christlichen Frömmigkeit. Nicht bloß wurden die beständig sich mehrenden christlichen Heiligen zu ´Patronen`, ähnlich den heidnischen Schutzgottheiten, sondern die zahlreichen heidnischen Lokalgötter, Heroen und Genien wurden durch die christlichen Heiligen ersetzt, ihre Tempel und Heroa in christliche Kirchen und Kapellen, ihre Feste in Heiligenfeste verwandelt. Die prunkvollen, oft mit ausgelassener Fröhlichkeit begangenen Märtyrerfeste traten an die Stelle des antiken Heroen- und Manenkultus und erfuhren von diesem starke Einwirkungen. Ebenso entstammen zahlreiche kirchliche Riten der heidnischen Religion, z. B. das Anzünden von Kerzen im Gotteshause, das Räuchern, das die Dämonen verscheuchen sollte, die feierlichen Prozessionen, die in den heidnischen Bittgängen ihre Vorläufer haben" (K. Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 11. Aufl., Berlin 1958, S. 111).
In ähnlicher Weise hat Adolf von Harnack von einer "Hellenisierung des Christentums" gesprochen. Ich würde da noch weitergehen, wenn man die Geschichte betrachtet, und von einer teilweisen Paganisierung (Verheidung) des Christentums sprechen. Entscheidend ist hierbei, dass dasjenige, welches als das "Heilige" bezeichnet wird, sinnlich, dinglich, geradezu materiell gefasst werden soll (nicht zuletzt auch in der römisch-katholischen Eucharistie!). Heidnisch-naturhafte Frömmigkeit verbindet sich mit der katholisch-christlichen Frömmigkeit und überwuchert diese nach und nach. Wir denken hier nicht zuletzt auch an das Faschingstreiben, was ja auch mit heidnischen Kulten unter Duldung der Katholischen Kirche sich vermischt hat.
Nach der katholischen Lehre sind die Heiligen nicht Gnadenspender, sondern "nur" Gnadenvermittler, Mittler zum Mittler. Aber in der Volksfrömmigkeit - und letztlich auch bereits in der katholischen Dogmatik — wird dieses nicht genügend unterschieden. Letztendlich haben Katholiken nun ihre Schutzpatrone, zu denen sie unmittelbar flehen und um Hilfe und Heilung bitten. Dies beweisen nicht zuletzt die außergewöhnlichen, übernatürlichen Wirkungen bei den Heiligen der Katholischen Kirche, die wir im Folgenden betrachten.
Hier ist zunächst die religiöse Ekstase zu nennen. Dies ist ein Aussichheraustreten und Eintreten in den Bereich der Gottheit bis hin zur unio mystica, zur Verschmelzung des inneren Wesenskerns mit dem göttlichen All-Einen. Kritisch sei hierzu gleich angemerkt, daß die Ekstase kein speziell christliches Phänomen ist, sondern ein allgemein religiöses Phänomen, das sich bekanntlicherweise auch im Heidentum findet. Der heidnische Afrikaner etwa versucht, im ekstatischen Zustand mit den heidnischen Gottheiten bzw. Ahnengeistern in Kontakt zu treten, so dass übernatürliche Wirkungen durch ihn als Medium vermittelt zustande kommen (>Animismus, Schamanismus).
Im Zustand der Ekstase und religiösen Kontemplation treten bei sehr vielen katholischen Mystikern Visionen auf. Ein bekanntes Beispiel ist die Augustinerin Anna-Katharina Emmerich. Von ihr gibt es bekannte Aufzeichnungen, die den Titel tragen "Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi". Diese hat nicht sie selber herausgegeben, sondern sie sind aufgrund ihrer Visionen von dem Dichter Clemens Brentano niedergeschrieben worden, der sie an ihrem Leidensbett besuchte. In diesen Visionen durchlebte die Stigmatisierte die gesamte Passionsgeschichte Jesu vom Abendmahl über die Kreuzigung bis zur Grablegung durch eigene Einsichtnahme nach. Anna-Katharina Emmerich war im visionären ekstatischen Zustand angeblich selber beim Abendmahl dabei. Sie war nach ihrer Aussage selber bei der Kreuzigung und bei der Grablegung gegenwärtig. Hier finden wir ähnliche Phänomene wie bei anderen Visionären aus dem okkulten und spiritistischen Bereich, z.B. bei Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie. Steiner hat behauptet, beim Pfingstereignis den Jüngern innegewohnt zu haben und — in ihrer Erinnerung sich zurücktastend — den gesamten Weg Jesu nachkonstruieren zu können.
Viele weitere Mystikerinnen und Mystiker behaupten, die Leidensstationen Jesu nacherlebt zu haben, etwa die heilige Brigitta von Schweden, der selige Baptista Verona, der selige Grandescha von Pisa und viele andere. Im Zusammenhang mit dem Durchleben der Passion Jesu kommt es dann häufig zu dem nächsten Phänomen: der Stigmatisation.
Stigmata sind Malzeichen bzw. Wundmale Christi, so wird behauptet. Die Leiden Christi werden im ekstatischen Zustande so nachempfunden, dass sie sich sogar bis ins Physische hinein am Körper ausbilden können, an den Händen, an den Füßen und an der Seite, die fünf Wunden des Erlösers am Kreuz.
Einer der bekanntesten Stigmatisierten war Franziskus von Assisi, aber auch viele andere bis in die nähere Gegenwart hinein. Es handelt sich um Wunden, durch die sogar Blut austreten kann, manchmal auch in Gestalt von Wunden am Kopf, die auf eine Dornenkrone hinweisen sollen. Ein Beispiel möchte ich nennen, auch wieder von Anna-Katharina Emmerich. Dies wird folgendermaßen beschrieben:
"Da schossen zuerst aus den Händen, dann aus den Füßen und endlich aus der Seitenwunde der Kreuzerscheinung, und zwar aus jeder einzelnen Wunde, dreifache blutrote Lichtstrahlen, die sich pfeilförmig endeten, nach ihren Händen und Füßen und ihrer rechten Seite. Die drei Strahlen, welche aus der Seite der Erscheinung kamen, erschienen weiter voneinander getrennt und breiter und endeten lanzenförmig. Im Augenblick der Berührung drangen Blutstropfen an den Malstellen hervor. Sie lag noch lang im bewußtlosen Zustand ... Sie sah mit Staunen das Blut in der Mitte ihrer Hände und empfand heftige Schmerzen an allen Malstellen" (zit. nach: O. Markmann, Irrtümer der Katholischen Kirche, S. 77).
Das hat Anna-Katharina Emmerich über Jahre hinweg immer wieder erlebt und vorgezeigt. Zehn Jahre lang war es, daß sie ihre Stigmata trug. Und diese angebliche Christuserscheinung rief ihr dann solche unbiblischen Sätze zu, wie etwa:
"Du bist mein, du bist meine Braut, leide, wie ich gelitten, frage nicht warum!" (ebd.).
Das Leiden Christi soll nachgeahmt, soll fortgesetzt werden. Es hat offensichtlich, nach diesen Erscheinungen zu urteilen, angeblich nicht genügt, so dass der Mensch noch sein Leiden hinzufügen muss.
Welche Erklärungsmöglichkeiten gibt es denn für diese Wundmale? Die Katholische Kirche spricht hier von göttlichen Wirkungen. Die Medizin spricht von psychosomatischen Zusammenhängen, die unter dem Eindruck einer sehr starken Gefühlsregung entstehen können, so dass sich das bis ins Körperliche hinein auswirken kann. Und aus geistlicher Sicht muss man natürlich die Lehren beurteilen, die im Zusammenhang mit diesen Visionen vermittelt werden. Und diese Lehren, so zeigt sich, weisen immer wieder darauf hin, dass der Mensch noch etwas erstatten müßte zum Erlösungsopfer Christi hinzu. Diese Aussagen der Erscheinungen, vor allem "Marias" und "Jesu Christi", weisen auch darauf hin, dass man den Rosenkranz beten soll, dass man Maria verehren soll, dass man der Katholischen Kirche und ihren Lehren treu bleiben soll, vor allem der eucharistischen Lehre. Und alles das ist meines Erachtens ein Hinweis, dass es sich eben nicht um biblisch begründbare Erscheinungen handelt, weil ja hier Irrlehren noch einmal sanktioniert werden durch diese Erscheinungen, so dass man hier von dämonischen Wirkungen sprechen muss.
Insbesondere zwei Bibelstellen aus den Paulusbriefen werden zur Begründung der Stigmata angeführt: Die eine ist Galater 6, 17:
"Ich trage die Stigmata Jesu Christi an meinem Leib."
- die Malzeichen oder Wundmale. Und die andere Stelle ist Kolosser 1, 24:
"Ich erstatte an dem Leiden, was noch fehlt."
Man könnte zunächst auf den Gedanken kommen, dass hier eine biblische Begründung vorliegt. Aber im Zusammenhang seiner Briefe macht Paulus immer wieder deutlich, wie viel er gelitten hat, dass er ausgepeitscht, dass er misshandelt wurde um Christi Willen (2. Kor 11,23 ff.). Stigmata in der katholischen Deutung gehen weit über das hinaus, was sich aus den Stellen herauslesen läßt. Bei Paulus ist zwar von einer Ergänzung des Leidens die Rede, aber damit ist keineswegs das Erlösungsopfer Christi gemeint, denn an zahlreichen klaren Stellen der Heiligen Schrift wird deutlich, dass alles vollbracht ist am Kreuz (vgl. Hebr 9 u.a.). Kol 1,24 kann sich also nur darauf beziehen, dass Paulus als Apostel in den Fußstapfen Christi den Leidensweg weitergeht und ihm nachfolgt, wie es auch allen wirklichen Nachfolgern bestimmt ist, dieses Leiden selber auf sich zu nehmen. Dies aber nicht als Erlösungsleiden, sondern als Leiden zum Aufbau der Gemeinde — wie die Apostel, die in den Tod gegangen sind. Es ist also kein Erlösungsleiden, sondern ein Nachfolgeleiden.
Eine weitere Erscheinung, die bei katholischen Mystikern auftritt, ist das Schweben, die Levitation. Dieses kennt man übrigens auch aus der Parapsychologie, dass Tische und andere Gegenstände plötzlich zu schweben beginnen, ohne dass man sie berührt hat.
Von dem heiligen Josef von Copertino aus dem 17. Jahrhundert wird berichtet, dass er einmal zwölf Schritte über die Köpfe der Anwesenden hinübergeschwebt sei, und zwar zu einer Stätte der Maria Immaculata, der "Unbefleckten Empfängnis".
"Nachdem er kurze Zeit seine Huldigung dargebracht und dabei seinen bekannten schrillen Schrei ausgestoßen hatte, flog er wieder weg."
Einmal habe er sogar einen Mitbruder geschnappt und während des Fluges mit sich genommen, wird überliefert (vgl. Markmann, ebd., S. 79).
Solche angeblichen Schwebeerlebnisse kennen wir auch aus den Jugendreligionen (vor allem aus der >Transzendentalen Meditation), die ja das Schweben propagieren. Also auch hier finden sich dämonische Einflussnahmen.
Viele Mystiker behaupten, sie seien unverletzlich durch Feuer. Auch dieses Phänomen finden wir im Hinduismus bei den Gurus: das Laufen über glühende Kohlen. So nahm auch im christlich-abendländischen Bereich der heilige Franz von Paulo glühendes Eisen in die Hand, hielt den Arm in siedendes Öl und war gegen Feuer unempfindlich. Katharina von Siena lag mit dem Oberkörper auf brennenden Kohlen, ohne am Körper oder an den Kleidern Schaden zu nehmen, wird überliefert (vgl. Markmann, ebd., S. 80). Die Bibel hingegen warnt ausdrücklich vor dem "Feuerlaufen" und ähnlichen Praktiken. Diese sind dämonisch verursacht und für Gott ein Gräuel (5. Mose 18,9 ff.).
Leuchterscheinungen finden sich ebenfalls bei vielen Mystikern. So gingen bei dem seligen Bernardino Realini vom ganzen Körper Funken aus. Sein Gesicht strahlte so stark, daß es den dunklen Raum erhellte (ebd.). Solche "elektrischen" Phänomene sind ebenfalls aus dem Okkultismus und Spiritismus bekannt.
Diese werden beschrieben als von einer unbeschreiblichen Süßigkeit erfüllt, das mit keinem Parfüm vergleichbar ist. Katharina de Ricci war in einem Bleisarg beigesetzt, und trotzdem war der Geruch mehr als ein Jahr lang am Grabe wahrzunehmen (ebd., S. 81).
Übrigens treten auch im Spiritismus ähnliche Erscheinungen auf. Es wird z.B. auch von dem Okkultisten und Hellseher Rudolf Steiner berichtet, dass er nach seinem Tode noch lange diese Wohlgerüche ausgeströmt habe, bevor er dann allerdings verbrannt wurde.
Ein weiteres Phänomen ist, dass oftmals — so wird überliefert — die Totenstarre ausbliebe und dass Blutwunder stattfänden, d. h. dass die Glieder des toten Heiligen noch biegsam geblieben sind und auch nach dem Tode Blut zum Teil stundenlang aus Wunden herausfloss. Als man zum Beispiel dem Jesuitenpater, dem heiligen Franz von Hyronimo, der 1716 verstorben war, ein Stück von der Fußsohle abschnitt, floss stundenlang nach seinem Tode Blut heraus, wird behauptet (ebd., S. 82).
42 Heilige werden hierfür angegeben, unter anderem Johannes von Kreuz, Franz von Sales und Ignatius von Loyola, der Begründer des Jesuitenordens.
Viele Mystiker beanspruchen, Jahre oder Jahrzehnte lang keine Nahrung aufgenommen zu haben. Zum Beispiel die heilige Lidwina soll 28 Jahre lang nichts gegessen haben. Sie ist 1433 gestorben. Dominika dal Paradiso aus dem 16. Jahrhundert soll 20 Jahre lang nichts gegessen haben, der heilige Nikolaus von Flüe soll 19 Jahre lang keine Nahrung zu sich genommen haben und die selige Elisabeth von Reute 15 Jahre lang. Therese Neumann von Connersreuth, die im 20. Jahrhundert lebte, nahm seit 1922 keine Nahrung und seit 1926 keine Flüssigkeit mehr zu sich, wird berichtet (ebd., S. 83).
Man fragt sich, wozu das gut sein soll und was das beweisen soll. Ob Gott uns ein solches Gebot gegeben hat? Ich kann mir das nur so erklären, dass Satan Menschen hier einschaltet, die verehrt werden sollen, weil sie irgendwelche übernatürlichen Dinge vorweisen und dass Katholiken durch die angeblichen Heiligen vom Zentrum, von Jesus Christus, abgelenkt werden. Es findet sich natürlich kein biblisches Gebot: "Du sollst 20 Jahre lang nichts essen, damit du heilig bist!"
Und wenn man die Lebensschicksale betrachtet, findet man schauerliche Geschichten, wie diese Heiligen, die jahrelang nichts gegessen haben, gelitten haben unter Angriffen des Teufels, der Dämonen, wie sie gepeinigt wurden mit Besessenheitszuständen. Ich denke, dass dies keineswegs auf göttliche Erfüllung hinweist. Die katholische Erklärung lautet dann:
"Ja, weil Gott wirkt, ist der Teufel auch nicht fern und will sie von Gott wegbringen!"
Aber man kann sich diese Phänomene viel näherliegend mit dämonischer Einflussnahme erklären.
Wir betrachten weitere Phänomene.
Damit ist die Bewegung von Gegenständen gemeint, ohne diese körperlich zu berühren, also durch geistigen Einfluss. Das kommt öfters vor mit Hostien. Hostien werden, ohne sie zu berühren, von einem Ort zum anderen bewegt. Die Hostie entfernt sich selber vom Altar oder aus den Händen des Priesters, schwebt durch die Luft und legt sich direkt in den Mund des Kommunikanten. Solche Erscheinungen werden öfters berichtet, z.B. auch von dem im 21. Jahrhundert heiliggesprochenen Stigmatisierten Pater Pio.
Da die Römisch-Katholische Kirche seit dem 11. Jahrhundert eine zölibatäre Kirche ist, legt sie besonderen Wert auf die Brautmystik. Insbesondere katholische Nonnen hegen in ihren Gedanken die Vorstellung, dass sich ein mystischer Ring an ihren Finger bindet und sie dann die Braut Christi sind. Die französische Stigmatisierte Marie-Julie Jahenny zum Beispiel kündigte ihre Vermählung mit Christus für den 20. Februar 1874 an. Darüber wird Folgendes berichtet:
"Um ½ 9 Uhr konnten wir uns davon überzeugen, daß ... der Ringfinger der rechten Hand in einem gesunden Zustand — totenblaß und ohne eine Spur von einem Ring (war). Um 9 Uhr begannen alle Wunden zu bluten. Etwa eine Viertelstunde später beobachteten wir, daß der Finger anschwoll und unter der Haut rot wurde. Etwa um ¼ 10 Uhr floß Blut beidseitig aus dem Finger; endlich sahen wir, wie sich ein Ring bildete. Er ist jetzt für ihr ganzes künftiges Leben deutlich ausgeprägt" (zit. nach Markmann, ebd., S. 85).
Bei vielen Mystikern sind typische Besessenheitszustände zu beobachten. So etwa bei der heiligen Theresia. Sie berichtet:
"Eines Tages plagte er (Satan) mich fünf Stunden mit so entsetzlichen Schmerzen und solcher Aufregung des Geistes und Körpers, daß ich glaubte, nicht länger widerstehen zu können. Durch eine überwältigende Anregung getrieben, gab ich mir selbst heftige Schläge, schlug den Kopf, die Arme, den ganzen Körper an die Gegenstände, welche mich umgaben" (ebd., S. 108).
So wurde die heilige Theresia vom Satan geplagt und versuchte, durch eigene Peinigung diesen Peiniger loszuwerden. Man kann sich fragen: Warum wurde sie denn so sehr geplagt?
Auch andere sogenannte Heilige haben plötzlich Erscheinungen mit Schreien, Brüllen, Zischen, Heidenlärm, Flüchen, unreinen Worten, die sie aushalten müssten. Die heilige Katharina von Siena wurde vom Teufel manchmal ins Feuer geworfen, ging aber immer lebend aus demselben hervor, wie behauptet wird. Die heilige Magdalena von Pazzi wurde 25 Sprossen von einer Leiter hinabgestürzt, ohne ernstlichen Schaden zu nehmen (ebd.). Und so haben viele übernatürliche Kraftwirkungen erlebt aus der jenseitigen Welt, die sie dann den Dämonen zuschreiben, aber Gott habe sie daraus gerettet. Die katholische Erklärung lautet dann auch so:
"Der außergewöhnlichen Gnadenerweisung Gottes geht eine außergewöhnliche Einwirkung des Teufels zur Seite" (Poulain, bei: Markmann, S. 10).
Man kommt nicht auf den Gedanken zu überlegen, ob es nicht vielleicht auch insgesamt, was hier geschieht, vom Teufel sein könnte. Und warum nicht? Weil man sagt, die Katholische Kirche habe das überprüft und ihre Prüfungsergebnisse seien korrekt. Das seien wirkliche Selige und Heilige — und zwar warum? Weil sie mit dem katholischen Lehrgebäude übereinstimmen: der Verehrung des Papstes, der eucharistischen Elemente, Marias usw. Wir merken jedoch: Es handelt sich hier um einen Zirkelschluss, der nur innerhalb des katholischen Systems überzeugend ist, außerhalb nicht.
Bei der Heiligenverehrung handelt es sich um soteriologische Nebenzentren (Nebenzentren des Heils), die faktisch von Jesus Christus, dem einzigen Mittler zum Vater (Joh 14,6; 1. Tim 2,5), ablenken. Dass die Heiligen, auch wenn es sicherlich auf manchen Gebieten vorbildliche Menschen gewesen sein mögen, trotzdem eine problematische Rolle einnehmen, zeigt sich auch daran, dass gerade im katholischen Bereich die Heiligen die Stelle einnehmen, die früher Lokalgottheiten in heidnischen Religionen eingenommen hatten. Man kann das nachweisen. Es gibt zum Beispiel Sankt Blasius, der zuständig ist für Erkrankungen der Atemwege. Die Santa Lucia ist zuständig für Augenleiden. Der heilige Thomas von Aquin ist zuständig für Studenten. Die heilige Monika für Mütter, der heilige Sankt Florian für Feuer, der heilige Franz von Assisi für Tiere, der heilige Sankt Josef für Zimmerleute, Tischler und andere Handwerksgesellen. Die Unbefleckte Empfängnis ist zuständig für Brasilien, Unsere Liebe Frau von Guadeloupe ist zuständig für Mexiko.
Wofür man im früheren Heidentum Schutz- und Lokalgötter hatte, wurden im Katholizismus die "Heiligen" eingesetzt. Das Heidentum sollte auf diese Weise "christianisiert" werden, doch in Wirklichkeit wurde die Kirche paganisiert (verheidet). Man hatte zum Beispiel Neptun bzw. Poseidon als Gott des Meeres. Man hatte Hermes als den Götterboten und so hat man hier für bestimmte Bereiche des Lebens die Heiligen eingesetzt, nicht die heidnischen Götter, sondern nur christliche Heilige, wie sie so gesehen wurden. Früher waren es Lokalgottheiten, heute sind es Lokalheilige, aber die Funktion ist die gleiche geblieben. Wenn es auch nicht mehr Götter sind, so aber doch fast schon Halbgötter, Mittler zum Mittler.
Die Heilige Schrift dagegen bezeichnet alle wahren Gläubigen als Heilige, und zwar nicht heilig aus sich selber heraus, sondern allein in Christus und soweit sie in Christus sind und bleiben. Das machen verschiedene Briefanfänge im Neuen Testament deutlich, etwa Epheser 1, 1 oder 1. Korinther 1, 2, wo von den
"Heiligen in Christus"
die Rede ist. Heilig im biblischen Sinne heißt: für den Herrn ausgesondert, zum Herrn gehörig. Die katholischen Heiligen als besonders hervorgehobene "Halbgötter" der katholischen Religion haben daher mit den Heiligen im neutestamentlichen Sinn nichts gemeinsam.
Lothar Gassmann
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