Das Wort Ökumene ist vom griechischen Wort "oikos" abgeleitet. Es ist verwandt mit dem Wort "Haus". Ursprünglich bedeutete es nur soviel wie "die von Menschen bewohnte Erde". Noch im fünften vorchristlichen Jahrhundert verwendete man das Wort nur für den von Griechen bewohnten Teil der Erde. Später weitete man es auch auf die anderen Länder des zwischenzeitlich aufgestiegenen römischen Imperiums aus. Im Römischen Reich bezeichnete sich der Kaiser als "der gute Gott der Ökumene und ihr Heiland und Wohltäter". Ökumene war also mit dem Römischen Reich identisch.
Der Schüler des Apostels Johannes, Polykarp, soll in der Fürbitte für alle im römischen Reich befindlichen Gemeinden das Wort "Ökumene" benutzt haben. Als die Kirche nach der sogenannten Konstantinischen Wende geduldete und später bevorzugte Religion im Römischen Reich wurde, nahm sie bald Züge einer Volkskirche an. Da ohne Zugehörigkeit zum Christentum kaum noch eine Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg bestand, gehörte schon bald nach 313 die überwiegende Mehrheit der römischen Bürger zur Kirche. In dieser Zeit wurde das Herrschaftsgebiet der Römer, die "Ökumene", mit dem vom Christentum beeinflußten Gebiet immer identischer. Die damaligen großen Kirchenversammlungen nennt man bis heute "ökumenische Konzile".
Kaiser Konstantin (306-327), der das Christentum zur Staatsreligion machte, schrieb über seine Beweggründe:
"In erster Linie ist es meine Absicht gewesen, alle Völker in ihrer Haltung gegenüber dem Göttlichen zu einigen, sodaß sie wirklich eins sein können, zweitens den Leib der ganzen Ökumene (des römischen Reiches) zu heilen, der sozusagen an einer schweren Krankheit litt."
Die Ökumene war untrennbar mit dem römischen Staat verbunden. Die ökumenischen Konzile der alten Kirche wurden dann auch meist vom Kaiser einberufen, und sein Wort besaß dort stärkste Autorität. Christen, die sich dieser Ökumene nicht unterordneten, erlebten bald die Verfolgung durch die ökumenische Kirche und den ökumenischen Staat.
Sichtbar wurde dies auch bei den großen theologischen Streitfragen der damaligen Kirche. Im Streit um die Lehre der Dreieinigkeit gab es zwei Parteien, die >Arianer und die >Athanasianer. Je nach dem, welcher Richtung der Kaiser zuneigte, war die offizielle kirchliche Lehre festgelegt. So mußten sowohl Arius als auch Athanasius, die Köpfe der theologischen Richtungen, je nach theologischem Verständnis des amtierenden Kaisers für ihre Erkenntnis in die Verbannung.
Im griechisch geschriebenen Neuen Testament kommt das Wort Ökumene etwa 15 mal vor. Einige Beispiele:
Mt 24,14: "Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt (Ökumene) zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen."
Lk 2,1: "Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt (Ökumene) geschätzt würde."
Lk 4,5-7: "Und der Teufel führte ihn hoch hinauf und zeigte ihm alle Reiche der Welt (Ökumene) in einem Augenblick und sprach zu ihm: Alle diese Macht will ich dir geben und ihre Herrlichkeit; denn sie ist mir übergeben, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du mich nun anbetest, so soll sie ganz dein sein."
Lk 21,26: "Und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde (Ökumene); denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen."
Röm 10,18: "Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt (Ökumene)" (Psalm 19,5)."
Offb 3,10: "Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis (Ökumene), zu versuchen, die auf Erden wohnen."
Offb 16,14: "Es sind Geister von Teufeln, die tun Zeichen und gehen aus zu den Königen der ganzen Welt (Ökumene), sie zu versammeln zum Kampf am großen Tag Gottes, des Allmächtigen."
Zwar wird dem Wort Ökumene keine besondere theologische Bedeutung beigelegt. Allerdings ist festzustellen, daß es meist in Zusammenhang mit negativen Aussagen gebraucht wird. Man kann sagen, daß das Wort ursprünglich kein typisch christlicher Begriff war. Weder die Apostel noch die Urgemeinde betrachteten das Wort "Ökumene" als ein Wort mit irgendeiner geistlichen Aussage. Der Gebrauch des Wortes Ökumene hatte seinen Ursprung im Raum der Hochkultur des Hellenismus, des griechischen Denkens. Hier nutzte man ihn für die Kennzeichnung des von zivilisierten Menschen, von Griechen bewohnten Siedlungsraums. Später dehnten es die Römer auf ihr ganzes Imperium aus.
Die Kirche, die seit dem 4. Jahrhundert auch politischer Faktor und Machtorgan wurde, übernahm schon früh das Wort. Es setzte sich aber erst mit dem Aufkommen der Staatskirche durch. In neuer Zeit wurde es in diesem Sinne wieder aufgegriffen und verwendet. Die Christen und Kirchen, die dies vor allem anregten und trugen, sahen und sehen sich in Kontinuität zu der zur innerweltlichen Macht erstarkten Kirche nach der Konstantinischen Wende.
Der erste Generalsekretär des "Ökumenischen Rates der Kirchen" (ÖRK) Willem Adolf Visser´t Hooft (1900-1985) wies in einer Veröffentlichung 1967 auf fünf Bedeutungen des Wortes Ökumene hin:
Heute heute wird das Wort Ökumene bzw. ökumenisch in unterschiedlicher Weise benutzt. Es wird einmal historisch im Blick auf frühere Nutzung verwendet. Vor allem aber tritt es aktuell im Blick auf kirchliche und religiöse Einheitsbewegungen unserer Tage auf.
Historisch wird das Wort Ökumene im Blick auf die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse verwendet. So nennt man in der Theologie u.a. das sogenannte >Apostolikum, das Apostolische Glaubensbekenntnis, oder auch das >Nicänum, das Glaubensbe-kenntnis, das auf der Synode von Nicäa (325) formuliert wurde, ökumenische Symbole.
Die nach der Konstantinischen Wende durchgeführten großen Kirchenversammlungen des 4. und 5. Jahrhunderts nennt man ökumenische Konzile. In ihnen wurden Beschlüsse zu Lehrfragen, die heute noch von den meisten christlichen Kirchen anerkannt sind, beschlossen. Allerdings waren es auch diese Konzile, die den Weg zur Entstehung der >Katholischen Kirche und >Orthodoxen Kirche in ihrer heutigen Gestalt festschrieben.
Kirchenrechtlich wird das Wort vor allem in den Orthodoxen Kirchen verwendet. Der Begriff tritt hier u.a. in den Titeln von Würdenträgern und Veranstaltungen auf. So nennt sich das Ehrenoberhaupt der Orthodoxen Kirche, der Patriarch von Konstantinopel, ökumenischer Patriarch.
Als Bezeichnung für die Einheitsbestrebung der christlichen Kirchen auf allen Ebenen. Der Zusammenschluß von gegenwärtig rund 350 protestantischen und orthodoxen Kirchen mit Sitz und Zentrum in Genf nennt sich "Ökumenischer Rat der Kirchen" (ÖRK).
Auch die Zusammenarbeit verschiedener christlicher Kirchen in den einzelnen Ländern wird als Ökumene bezeichnet. In Deutschland verwirklicht sie sich in der 1948 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Zu ihr gehört auch die Römisch-Katholische Kirche, die nicht Mitglied im Weltrat der Kirchen ist. Das Zentrum des ACK ist die sogenannte Ökumenische Centrale in Frankfurt a.M. Es gibt den Deutschen Ökumenischen Studienaus-schuß (DÖSTA). Die Zeitschrift des ACK heißt "Ökumenische Rundschau".
Auf örtlicher Ebene gibt es schon über 1000 ökumenische Arbeitskreise des ACK in Deutschland. Teilweise wird ökumenischer Religionsunterricht angeboten, und ökumenische Amtshandlungen (Trauungen, Beerdigungen usw.) werden durchgeführt. Mitte Januar bzw. in der Woche vor Pfingsten finden die ökumenischen Gebetswochen statt. Die früher volksmissionarisch ausgerichtete evangelische Bibelwoche ist zur ökumenischen Bibelwoche geworden usw.
Die katholische Kirche bezeichnet ihre Kontakte und Gespräche zu anderen Kirchen als ökumenisch.
Inner- und außerkirchliche Gruppierungen, Bruderschaften und Kommunitäten bezeichnen sich als ökumenisch. So zum Beispiel die ökumenische Bruderschaft von Taizé oder die Darmstädter Evangelische Marienschwesternschaft.
Die Zusammenarbeit der verschiedenen Kirchen, auch gleicher theologischer Herkunft, über Ländergrenzen hinweg, wird oft "ökumenisch" genannt. Oft wurde die bisherige Missionsarbeit, besonders der den Landeskirchen nahen Missionen, durch soge-nannte ökumenische Beziehungen ersetzt. So wird die Unterstüt-zung europäischer Kirchen und deren Verhältnis zu den durch ihre Mission entstandenen Tochterkirchen in Afrika, Asien und Übersee oft als ökumenisch bezeichnet.
Heute wird von der sogenannten Großen Ökumene gesprochen. Darunter versteht man Kontakte und Verbindungen zu Angehörigen anderen Religionen. Hier steht besonders der von den Kirchen geförderte Dialog der monotheistischen Religionen (an nur einen Gott glaubenden Religionen) im Mittelpunkt. Man redet vom Christlich-Jüdischen oder Christlich-Islamischen Dialog.
Man unterscheidet heute schon teilweise:
Abrahamitische Ökumene = Einigungsbewegung mit sich auf Abraham berufenden Religionen
Adamitische Ökumene = Einigung aller "Menschen guten Willens" unabhängig von ihrer Religion (die anderen haben demzufolge keinen "guten Willen", sondern gelten als "Friedensstörer"!)
Anhänger der sogenannten "Großen Ökumene" sehen nicht nur in der konfessionellen Trennung der Christenheit ein Übel. Sie meinen, daß die Spaltung der Menschheit in verschiedene Religionen das Übel schlechthin ist. Sie betrachten die Lehren der einzelnen Kirchen und Religionen als zweitrangig und arbeiten auf eine Vereinigung "aller Menschen guten Willens" in einer "Großen Ökumene" oder auch "Adamitischen Ökumene" (Adam als Stammvater aller Menschen) zu. Der bekannte katholische Theologie Prof. Hans Küng aus Tübingen macht eines ihrer Ziele deutlich, indem er immer wieder erklärt: "Ohne Religionsfrieden keinen Weltfrieden" (Projekt Weltethos).
Die Konsequenzen dieser Haltung werden im katholischen, aber noch mehr im protestantischen Raum immer deutlicher. Beim von Papst Johannes Paul II. am 27.Oktober 1986 einberufenen Friedensgebet im italienischen >Assisi beteten neben katholischen Würdenträgern auch Protestanten, wie etwa der Ratsvorsitzende und weitere Repräsentanten der EKD. Aber neben christliche Würdenträger traten auch jüdische Rabbiner und moslemische Mullahs und Imame. Priester von Buddhisten und Hinduisten, Zauberer und Medizinmänner aus Afrika riefen zu ihren Götzen und Geistern.
Obwohl Hans Küng wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Vatikan die kirchliche Lehrbefugnis entzogen wurde, sind seine synkretistischen Thesen voll auf kirchlicher Linie (Ökumene der Religionen). Diese "Große Ökumene" kam in den Worten des Papstes vor den versammelten Würdenträgern der Religionen in Assisi zum Ausdruck, indem er sagte:
"Laßt uns darin eine Vorwegnahme dessen sehen, was Gott von der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit gern verwirklicht sehen möchte: Eine brüderliche Wanderung, auf der wir uns gegenseitig begleiten zum jenseitigen Ziel, das er uns gesetzt hat".
Der Ökumenebegriff erweiterte sich unaufhaltsam im Blick auf Ökumene aller Religionen und letztlich aller Menschen. Ökumene ist nicht allein eine Organisation wie der Weltrat der Kirchen oder der ACK. Vielmehr ist die Ökumene eine Bewegung, die wir im Rahmen der Globalisierung der Welt sehen müssen. Sie besteht aus Aktionen, Gesprächen, Ideen und Aktivitäten besonders engagierter Einzelpersönlichkeiten und vielfältiger Organisationen. In diesem Bereich nimmt mit Sicherheit der >Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) mit Sitz in Genf eine herausragende Bedeutung ein. Euphorische Ökumeniker hatten ihn bereits "das 2. Rom" genannt. Aber selbst wenn der Einfluß des Weltrates der Kirchen eines Tages geringer werden sollte, so war er doch lange Zeit Motor auf dem Weg zu einer Welteinheitskirche mit religionsvermischendem - und somit antichristlichem - Charakter.
Lit.: R. Wagner, Gemeinde Jesu zwischen Spaltungen und Ökumene, 2002.
Rainer Wagner
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