Positives Denken (PD) im ideologisch-religiösen Sinne ist eine Art Selbsthypnose oder Programmierung des Denkens mit "positiven" Inhalten, um dementsprechende Ziele und Erfolge (z.B. Glück, Gesundheit, Wohlstand, privater und beruflicher Erfolg) zu erreichen. Hauptvertreter sind Joseph Murphy und Norman Vincent Peale und - stärker "christlich" gefärbt - Charismatiker wie Robert Schuller und Yonggi Cho. Die wichtigsten Geistesströmungen, die z.B bei Murphy zusammentreffen, sind Mystik , Pantheismus, >Synkretismus, Okkultismus, Hedonismus, optimistischer Humanismus, >Christian Science und Psychologie C. G. >Jungs (siehe die Beurteilung dort).
Murphy schreibt: "Es gibt eine universelle geistige Kraft. Nichts auf der Welt ist mächtiger als sie. Was immer Sie sich wünschen, diese Kraft vermag Ihren Wunsch zu erfüllen. Und diese Kraft ist geistiger Natur und in Ihnen. Es ist Ihr Geist, der Teil des universellen Geistes und eins mit ihm ist" (Die Gesetze des Denkens und Glaubens, 1983, 13). Gott ist nach Murphy die "unendliche Heilkraft, die göttliche Vorsehung oder einfach die Natur, das Leben, das Lebensprinzip" (ebd., 39). "Psychologisch gesehen wird Gott für Sie das, als was Sie ihn betrachten ... Ob Sie ihn die Heilige Dreifaltigkeit oder Schöpfer nennen, ob Allah, Brahma oder Wischnu, Überseele oder Vorsehung, unendliche Weisheit oder Allgegenwart, Erschaffer des Universums oder göttlicher Geist, höchstes Wesen, Lebensprinzip, lebendiger Geist oder schöpferische Allmacht - es tut nichts zur Sache" (ebd., 67). Der Mensch ist es somit, der sich kraft seiner Vorstellung seinen Gott erschafft. Und tatsächlich setzt Murphy Gott mit dem menschlichen Unterbewusstsein gleich: "Das Wort ´Herr` ist auszulegen als die Allmacht bzw. die unendlichen Kräfte Ihres Unterbewusstseins" (Die Macht Ihres Unterbewusstseins, 1981, 228). "Ihr Geist ist Gottes Geist, Ihre Seele ist Gottes Seele, und das Lebensprinzip (Gott) wirkt in Ihnen" (Das I-Ging-Orakel Ihres Unterbewusstseins, 1980, 25).
Dementsprechend ist im PD Glaube lediglich ein "Gedanke" oder "Geistesinhalt". Nicht der Inhalt oder Gegenstand seines Glaubens sei es, der die Gebete eines Menschen wirksam gestalte. Die Erhörung trete vielmehr dann ein, wenn das Unterbewusstsein des Betreffenden auf seine Gedanken oder Vorstellungen reagiere. Dieses Gesetz des Glaubens entfalte seine Wirkungen in allen Religionen der Welt und verleihe ihnen ihren psychologischen Wahrheitsgehalt. Vertreter des PD wie Murphy lehren - auch wenn sie formal von "Gott" reden - im Grunde den Glauben an sich selbst, an die im Unterbewusstsein schlummernden Kräfte des Menschen. Von einem Glauben an "Gott" kann das PD nur insoweit sprechen, als es Gott und Unterbewusstsein identisch sieht. Zwischen Glauben und Denken besteht für das PD kein Unterschied. Deshalb braucht der Mensch nicht an eine außerhalb von ihm existierende Macht zu glauben, sondern kann durch Programmierung seines Glaubens bzw. Denkens sein Leben verändern: "Was Sie glauben, werden Sie" (Gesetze, 35). "Denken Sie Gutes, ist Gutes die Folge; denken Sie Schlechtes, ist Schlechtes die Folge" (I Ging, 39). Das ist der Kernsatz der Lehre vom "PD".
Gebet ist dementsprechend >Autosuggestion und Mittel zur Selbstverwirklichung. Sünde ist für das PD nicht im biblischen Sinne tödliche Wirklichkeit, sondern lediglich "die Unkenntnis der Lebensgesetze", mangelnde Erkenntnis des "Wahren, Schönen und Guten". In völliger Verkehrung der biblischen Lehre in ihr Gegenteil kann Murphy sagen: "Sie sündigen daher, wenn Sie nicht Gesundheit, Wohlstand, Erfolg, Seelenfrieden, Liebe und Glück - echte Selbstverwirklichung - anstreben" (Energie aus dem Kosmos, 1977, 87). Nicht die Trennung von Gott, sondern der Verzicht auf Steigerung des menschlichen Selbst ist somit laut Murphy Sünde. Man vgl. hiermit die Lügen der Schlange in 1. Mose 3,1-5!
Krankheit und Tod haben für Murphy ebenfalls keine Wirklichkeit bzw. werden nicht ernst genommen. Krankheit ist nichts anderes als Folge von Irrglauben, grundlosen Befürchtungen sowie negativen Gedanken und Vorstellungen. Zu ihrer Heilung bedarf es nur einer geistigen Umstellung hin zum positiven Denken. Der "einzige wirkliche Tod" sei "ein psychologischer Prozess und zwar von der Art, dass ein Mensch sich selber aufgebe, verkümmere, ja >sterbe<, indem er sich im Gefälle der Unwissenheit und Trägheit sowie der Furcht und des Aberglaubens treiben lasse. Darüber triumphieren Glaube und Begeisterung, Vertrauen und wahre Lebenserfüllung; sie erwecken einen Menschen zu neuem Leben" (Gesetze, 20).
Vergebung ist im PD Selbstvergebung. Nach Murphys Konzeption kann der mit unserem Unterbewusstsein identische Gott weder richten noch vergeben, sondern uns in seiner Liebe nur mit allen erdenklichen Wohltaten überschütten. "Gott verurteilt niemanden, und wenn wir uns selbst verzeihen, wird uns verziehen. Selbstverurteilung ist die Hölle, Selbstvergebung ist der Frieden des Himmels" (Die unendliche Quelle Ihrer Kraft, 1983, 216). "Hölle" bedeutet "Einengung, Fessel"; "Himmel" bedeutet "Frieden, Harmonie und Gesundheit", ist also - wie die Vergebung - rein innerweltlich verstanden. Solche Vergebung, solche Erlösung, solches Heil kommt nicht von außen, wird nicht von einem wirklichen Gott zugesprochen, sondern es kommt von innen: aus dem Unterbewusstsein wenn ihm die richtige Geisteshaltung des PD einsuggeriert ist.
Insgesamt muss die Bewegung des PD als dämonische Verführung bezeichnet werden: Indem der Mensch auf sich selbst - auf "Selbstvergebung", Selbstverwirklichung, Autosuggestion - gelenkt wird, wird ihm - getarnt durch christlich klingende Begriffe - der Zugang zum wahren, lebendigen Gott verschlossen. Zur weiteren Beurteilung s.: Mystik; >Autosuggestion; >Christian Science; Okkultismus; u.a.
Lit.: L. Gassmann, Was ist Positives Denken?, 1998.
Lothar Gassmann
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