Aufklärung

HANDBUCH ORIENTIERUNG: Religionen, Kirchen, Sekten, Weltanschauungen, Esoterik.

Die A. im engeren Sinne wird datiert auf den Zeitraum von 1689 bis 1814. Der Beginn liegt bei der "Glorreichen Revolution" und der Toleranzakte Wilhelms III. von England, welche das Ende der Konfessionskriege und eines aggressiven Konfessionalismus bedeutete. Als Ende der A.sepoche wird der Sturz des französischen Kaisers Napoleon im Jahre 1814 angegeben. Daraufhin kam es zur romantischen Reaktion.

Was kennzeichnete die A.? Es ging zum einen um die Abwendung von einer übernatürlichen (supranaturalistischen) Weltanschauung. Es musste alles mit der Vernunft, mit dem >rationalistischen Verstehen erfasst werden können. Man wollte unabhängig sein von überlieferten Autoritäten. "Sapere aude! Wage es, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen!" Dies war ein bekannter Wahlspruch der A., der etwa bei dem Philosophen Immanuel Kant sprichwörtlich wurde. Nicht mehr der überweltliche, allmächtige, persönliche Gott stand im Zentrum, sondern das eigene menschliche Ich setzte sich zum Mittelpunkt der Welt (Anthropozentrik). Die Philosophie René Descartes` mit ihrem Kernsatz: "Ich denke, also bin ich!" spielte eine epochale Rolle.

Die A. war verbunden mit dem Aufblühen der exakten Naturwissenschaften. Es war die Zeit von Kepler, Galilei, Newton und anderen Naturforschern. Naturgesetze wurden entdeckt, z.B. das Gesetz vom freien Fall und der Schwerkraft. Ferner feierte man viele Entdeckungen in der Kosmologie (Weltkunde), besonders in der Astronomie (Sternenkunde). Die Philosophen waren Mathematiker und umgekehrt. Diese Entwicklung führte durchaus zu positiven Früchten im Erkennen der geschaffenen Welt.

Allerdings begann nun auch die philologische Kritik an der Bibel (Bibelkritik). "Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden", hatte Gotthold Ephraim Lessing, der bekannte Aufklärer und >Freimaurer, behauptet. Der Intellektualismus trat an die Stelle des Autoritätsglaubens, der Vernunftglaube an die Stelle des Kirchenglaubens.

Diesseits und Kulturfreudigkeit herrschten vor, ferner ein >humanistischer Optimismus, ein Glaube an die eigenen, menschlichen Möglichkeiten. Die Erbsündenlehre wurde abgelehnt. Der Mensch sei nur für seine eigenen Taten verantwortlich. Damit verbunden erhob sich ein >autonomer Moralismus: Die eigene Werkheiligkeit sollte den Weg zu einem eigentlich schon gar nicht mehr vorhandenem Himmelreich öffnen. "Gott, Freiheit und Unsterblichkeit" wurden von den Aufklärern gerade noch stehen gelassen, aber mehr als abstrakte Worthülsen im Sinne einer Selbstvervollkommnung des Menschen.

Gegen die Religions- und Konfessionskriege, in denen man sich - gegen das Liebesgebot Jesu Christi (Mt 5,43 ff.)! - ja leider blutig bekämpft hatte, setzte man nun eine allgegenwärtige Toleranz. Die Toleranz-Akte Wilhelms III. von England stand, wie schon erwähnt, am Anfang dieser Entwicklung.

Viele Aufklärer vertraten ein >pantheistisches Gottesbild: Es gebe keinen personalen Gott, sondern alles sei göttlich. Verbreitet waren auch der Naturalismus ("Das Natürliche ist das Wahre"; Rousseau) sowie der Deismus, der besagt: Gott hat wohl alles am Anfang erschaffen, aber es dann sich selbst überlassen. Der Mensch hat die Freiheit, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Im Neu-Humanismus der A. herrschte eine ">Christologie von unten" vor: Christus wurde als idealer Mensch angesehen, dessen Leben uns als Vorbild dient. Dies wirkt bis heute nach. Auch heute wird ja Jesus bis in die Kirchen hinein oft nur als Vorbild und Friedensschaffer angesehen, aber nicht als Sohn Gottes im wirklichen, übernatürlichen Sinn. Auch in der Soteriologie (Erlösungslehre) kam es demzufolge zur Verflachung. Heil wurde durch Moral ersetzt - und ging denen, die so dachten, verloren.

Man erlebte eine Verinnerlichung und Verdiesseitigung der eschatologischen (endgeschichtlichen) Fragen. Das Reich Gottes wurde nur noch ethisch (moralisch) verstanden, nicht real-zukünftig. Die letzte Steigerung dieses Denkens stellte z.B. die Position von Albert Schweitzer im 20. Jahrhundert dar: das Reich Gottes als ethisch-moralische Idee (>Konsequente Eschatologie).

Gemeinsam mit der A. betonte der etwa gleichzeitig mit ihr zur Wirkung gelangende Pietismus die Bedeutung des Subjekts, der individuellen Erfahrung des Menschen. Gemeinsam mit der vorausgegangenen Orthodoxie jedoch hielt der Pietismus grundsätzlich an der Offenbarung Gottes in der Bibel fest, was für die A. aufgrund ihrer Bibelkritik (weithin) undenkbar war. Je mehr sich allerdings Pietisten dem "inneren Wort", der subjektiven "Erleuchtung" und Ähnlichem öffneten, desto mehr rückten sie von der Bibel ab und näherten sich der Verstandes- und Gefühlsreligion der A. an (ein Vorgang, den wir auch heute beobachten). Der Pietismus wandte sich also einerseits - zu Recht - gegen die orthodoxe Erstarrung im Buchstaben, zugleich aber auch gegen die aufklärerische Verwässerung des Buchstabens. Beides sind Mißstände, die es in einer vom lebendigen Gott durch sein Wort geschenkten Lebenserneuerung her zu bekämpfen und zu überwinden galt (und gilt) (Reformvorschläge s. unter Pietismus).

Lothar Gassmann


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